Einfälle Nr. 138 | 2. Quartal 2016

Liebe Leserin, lieber Leser – liebe Freunde und Förderer!

Lange Zeit galt die Verwendung des Wortes „Epileptiker“ als verpönt, da es – ähnlich wie das Wort „Spastiker“ – die an einer Epilepsie erkrankten Menschen auf bestimmte, in der Regel negative Eigenschaften reduziert und damit Vorurteilen Tür und Tor öffnet. Dies scheint heute nicht mehr so zu sein, bezeichnen sich doch inzwischen viele anfallskranke Menschen selbst als „Epileptiker“ (ohne das ironisch zu meinen). Das Wort „Behinderung“ dagegen scheint mehr und mehr verpönt zu sein – wohl auch, weil es inzwischen oft als Schimpfwort verwendet wird. „Menschen mit Epilepsie mögen es nicht, wenn sie als ‚behindert‘ bezeichnet werden“. Diesen Satz höre ich immer öfter. Ist es da nicht ein Affront gegen alle diese Menschen, das Thema „Epilepsie und Mehrfachbehinderung“ zum Schwerpunkt dieses Heftes zu machen?

Ich meine nicht. Zum einen sind mit dem Begriff „Behinderung“ keine Eigenschaften der Betreffenden verbunden. Behindert ist jemand, der aufgrund seiner Erkrankung oder aufgrund bestimmter Eigenschaften (z.B. einer Intelligenzminderung) Nachteile erdulden muss. Zum zweiten – und das ist für mich der sehr viel wichtigere Grund – ist zwar richtig, dass Epilepsie keine geistige Behinderung ist. Das sollte aber nicht dazu führen, dass wir in der Selbsthilfe diejenigen mit einer Epilepsie ignorieren, die neben ihrer Epilepsie zusätzlich eine geistige oder mehrfache Behinderung haben. Wir müssen uns schon entscheiden: Wenn wir selbst nicht ausgegrenzt werden wollen, dürfen wir andere auch nicht ausgrenzen.

„Epilepsie braucht Offenheit“, das diesjährige Motto des Tages der Epilepsie, bedeutet offen zu sein für alle Menschen mit Epilepsie, auch für die mit einer schweren Intelligenzminderung. Apropos Tag der Epilepsie. Als Helga Renneberg zusammen mit Prof. Dietz Rating den ersten Tag der Epilepsie 1996 in Heidelberg organisierte, hat sie wohl nicht geahnt, dass sich dieser Tag in Deutschland fest und erfolgreich etablieren würde. Die zentrale Veranstaltung zum 20jährigen Bestehen des Tages der Epilepsie wird am 05. Oktober in Berlin stattfinden und wir haben uns bemüht, dafür ein ganz besonderes Programm auf die Beine zu stellen. Mehr dazu in diesem Heft.

Der russische Schriftsteller Anton Pawlowitsch Tschechow hat in einem Brief aus Wien an seine Verwandten in Russland 1891 geschrieben: „Merkwürdig, dass man hier alles lesen und sagen kann, was man will.“ Ob das in Österreich so bleibt, wissen wir nicht – in der Epilepsie-Selbsthilfe und in einfälle sollte das aber auf jeden Fall so sein.

In diesem Sinne,

Ihr/Euer Norbert van Kampen

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