Einfälle Nr. 154 | 2. Quartal 2020

Liebe Leserinnen und Leser – liebe Freunde und Förderer,

in diesem Heft beschäftigen wir uns etwas ausführlicher mit neuen Behandlungsmöglichkeiten der Epilepsien, wobei wir nur einen kleinen Bereich abdecken. Da wir aber kontinuierlich über neue therapeutische Entwicklungen berichten, halten wir das für vertretbar. Warum dieser Schwerpunkt? Eigentlich wollten wir das Thema auf der Arbeitstagung behandeln (die wir ja leider Corona-bedingt auf das kommende Jahr verschieben mussten) und die Inhalte der Tagung vorab einem größeren Publikum zugänglich machen. Ersteres war nicht möglich, letzteres schon – und das aus einem bestimmten Blickwinkel.

Ich bin immer wieder überrascht, dass Veranstaltungen der Epilepsie-Selbsthilfe oder andere Veranstaltungen, die sich an Menschen mit Epilepsie richten, sehr gut besucht sind, wenn es um überwiegend medizinisch orientierte Themen geht. Veranstaltungen zum Thema „Cannabis“ z.B. sprengen in der Regel alle Besucherrekorde. Veranstaltungen mit psychosozialen Themen dagegen werden – einmal abgesehen von der Arbeitstagung – eher weniger gut besucht. Offenbar ist die Hoffnung vieler groß, vielleicht doch noch Hinweise zu finden, wie sie Anfallsfreiheit erreichen können. Alles andere scheint diesem Ziel untergeordnet, weniger wichtig zu sein (eine Beobachtung, die ich im übertragenen Sinne im Bezug auf meine eigene Behinderung übrigens auch immer wieder mache).

Natürlich ist Anfallsfreiheit ein hohes Gut, der Wunsch danach mehr als verständlich. Aber ist das wirklich alles? Oder geht es nicht vielmehr darum, trotz der Epilepsie – ob nun mit oder ohne Anfälle – ein erfülltes Leben zu führen, nicht benachteiligt zu werden, von anderen Menschen nicht diskriminiert oder abgewertet zu werden? Damit jedenfalls ist die Epilepsieselbsthilfe in den 1970’er und 1980’er Jahren angetreten – es ging den damaligen Akteuren nicht so sehr um Anfallsfreiheit, sondern sehr viel mehr um gesellschaftliche Akzeptanz.

Wenn wir, wie seinerzeit Prof. Janz, davon ausgehen, dass Menschen keine Objekte der Medizin sind, sondern Subjekte; wenn wir davon ausgehen, dass die Epilepsiebehandlung letztlich ein gleichberechtigter Dialog zwischen Arzt und Patient ist; wenn Ärzte, wie Prof. Meencke in diesem Heft schreibt, keine Krankheiten behandeln, sondern Menschen in bestimmten Phasen ihres Lebens mit all ihren Ängsten, Hoffnungen und Wünschen; wenn das alles so ist (woran ich keinen Zweifel habe), dann muss es auch in der Behandlung um mehr als Anfallsfreiheit gehen. Letztlich sollte, so Meencke (und auch dem kann ich nur zustimmen), das Behandlungsziel im Erhalt einer hohen Lebensqualität nach den je eigenen Vorstellungen des Patienten bestehen. Das erfordert weitaus mehr als Anfallsfreiheit und zudem Veränderungen im System unserer gesundheitlichen Versorgung, dass immer noch zu stark an der Behandlung akut erkrankter Menschen orientiert ist.

Ansonsten ist unser aller Leben derzeit immer noch vom Corona-Virus geprägt, das uns wohl noch eine ganze Zeit beschäftigen wird. Es gibt viele Einschränkungen, viele Veranstaltungen der Selbsthilfegruppen und Gruppentreffen konnten nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen stattfinden. Inzwischen sollte jeder begriffen haben, dass im Herbst nicht alles so sein wird wie früher. Wir stecken mitten in der Pandemie, die wir unbedingt ernstnehmen und vor der wir unsere Augen nicht verschließen sollten. Ich bin immer wieder erschüttert darüber, wie viele Menschen die banalsten Hygieneregeln nicht einhalten und über die Ignoranz derjenigen, die die Bedrohung durch das Virus nicht ernst nehmen und es immer noch für eine leichte Form der Grippe halten. Dabei liegen die Fakten klar auf der Hand – sie müssen nur gesehen werden wollen.

In diesem Sinne: Kommen Sie gut durch diese schwierigen Zeiten, bleiben Sie gesund und kritisch und glauben Sie nicht jeden Quatsch, der in einem YouTube-Video oder auf Facebook behauptet wird.

Es grüßt Euch/Sie herzlich

Norbert van Kampen

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