Einfälle Nr. 172 | 4. Quartal 2024

Liebe Leserinnen und Leser,

nicht jeder Mensch, bei dem erstmalig ein epileptischer Anfall auftritt, ist deshalb zwangsläufig an einer Epilepsie erkrankt. Handelt es sich zum Beispiel um einen akut-symptomatischen Anfall, der in unmittelbarer Folge eines Schlaganfalls auftritt, besteht ein eher geringes Risiko, dass dem weitere Anfälle folgen und somit die Diagnose „Epilepsie“ gestellt werden muss. Das Problem ist nur bei Risikobewertungen: Keiner weiß, wen es trifft und keiner kann mir sagen, ob nicht vielleicht ich zu der eher kleinen Gruppe gehöre, die nach einem ersten akut-symptomatischen Anfall weitere Anfälle bekommt; ob nicht vielleicht ich zu der eher kleinen Gruppe gehöre, die dann an einer Epilepsie erkrankt.

Und weil das so ist, ist bereits nach einem ersten epileptischen Anfall eine fachgerechte Diagnostik erforderlich, die sich nicht nur auf die rein bio-medizinischen Aspekte beschränkt, denn: Bereits ein erster epileptischer Anfall hat Auswirkungen auf unterschiedliche Lebensbereiche. In der Regel darf dann sechs Monate kein Kfz mehr geführt werden (das Führen eines LKW ist zwei Jahre nicht mehr möglich) und es kann zu beruflichen Einschränkungen kommen – und dann ist da natürlich noch die Unsicherheit, wie es weitergeht und die Angst vor der Diagnose Epilepsie. Deshalb ist bereits nach einem ersten Anfall eine umfassende und fachgerechte sozialmedizinische Beratung notwendig.

Damit erzähle ich vielen unserer Leserinnen und Leser nichts neues – viele werden wissen, dass dem so ist. Auch Wenn es sich im Rahmen der ambulanten Behandlung eher schwierig gestaltet, gibt es doch im Rahmen einer stationären Behandlung an einem spezialisiertem Epilepsie-Zentrum durchaus die Möglichkeit, eine fachgerechte Diagnostik durchzuführen, mit einer fachgerechten Behandlung zu beginnen (sollte das notwendig sein) und die Auswirkungen des ersten Anfalls auf unterschiedliche Lebensbereiche fachgerecht zu besprechen und – gemeinsam mit Ärztinnen und

Ärzten sowie Mitarbeitenden nicht-ärztlicher Berufsgruppen (zum Beispiel Sozialarbeit, Psychologie) Lösungen zu erarbeiten und umzusetzen.

Allerdings wissen Menschen, die erstmalig einen epileptischen Anfall bekommen, das in der Regel nicht. Genau deshalb ist eine gute Öffentlichkeitsarbeit aller Einrichtungen im Epilepsie-Bereich, einschließlich unserer Öffentlichkeitsarbeit, so wichtig: Damit möglichst viele Menschen nach einem ersten Anfall wissen, an wen sie sich wenden können, um gut behandelt, beraten und unterstützt zu werden – damit gleich die Weichen richtig gestellt werden.

Die Weichen richtig stellen: Dazu sind wir alle aufgefordert, wenn es am 23. Februar darum geht, unsere Bundesregierung neu zu wählen. In diesem Zusammenhang bin ich auf ein Zitat von Dietrich Bonhoeffer gestoßen (1906 – 1945). Bonhoeffer war lutherischer Theologe und als profilierter Vertreter der Bekennenden Kirche am deutschen Widerstand gegen die Nationalsozialisten beteiligt, von denen er Ende des zweiten Weltkriegs inhaftiert und ermordet wurde. In seinen Briefen aus der Haft schreibt er:

Dummheit ist ein gefährlicherer Feind des Guten als Bosheit. Gegen das Böse lässt sich protestieren, es lässt sich bloßstellen, es lässt sich notfalls mit Gewalt verhindern, das Böse trägt immer den Keim der Selbstzersetzung in sich, indem es mindestens ein Unbehagen im Menschen zurücklässt. Gegen die Dummheit sind wir wehrlos. Weder mit Protesten noch mit Gewalt lässt sich hier etwas ausrichten; Gründe verfangen nicht; Tatsachen, die dem eigenen Vorurteil widersprechen, brauchen einfach nicht geglaubt zu werden – in solchen Fällen wird der Dumme sogar kritisch, und wenn sie unausweichlich sind, können sie einfach als nichtssagende Einzelfälle beiseitegeschoben werden. Dabei ist der Dumme im Unterschied zum Bösen restlos mit sich selbst zufrieden, ja, er wird sogar gefährlich, indem er leicht gereizt zum Angriff übergeht. Daher ist dem Dummen gegenüber mehr Vorsicht geboten als gegenüber dem Bösen. … Bei genauerem Zusehen zeigt sich, dass jede starke äußere Machtentfaltung, sei sie politischer oder religiöser Art, einen großen Teil der Menschen mit Dummheit schlägt.

Diese Worte, die für sich selbst sprechen, sollten wir im Hinterkopf behalten, wenn wir am 23. Februar gemeinsam darüber entscheiden, wie sich der neue Bundestag zusammensetzen und wer in Zukunft unser Land regieren wird. Ähnlich wie Thomas Gottschalk es neuerdings macht, sollten wir nicht nur nachdenken, bevor wir etwas sagen – wir sollten auch nachdenken, bevor wir zur Wahlurne schreiten.

In diesem Sinne,

Euer/Ihr

Norbert van Kampen

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