Einfälle Nr. 165 | 1. Quartal 2023

Liebe Leserinnen und Leser – liebe Freunde und Förderer,

als ich kürzlich den Tagesspiegel aufschlug, traute ich meinen Augen kaum: Auf der Titelseite sprang mir die Überschrift CDU plant höhere Steuern für Spitzenverdiener in die Augen. Endlich mal ein vernünftiger Vorschlag, dachte ich – wurde aber schnell enttäuscht, denn eigentlich geht es nicht um höhere Steuern, sondern eher um eine Steuersenkung. Höhere Steuern sollen nur bei Spitzenverdienern erhoben werden, wobei unklar ist, ab wann jemand ein solcher ist. Diejenigen, die aktuell den Spitzensteuersatz bezahlen, sollen dagegen entlastet werden. „Wir wollen die hart arbeitende Mitte entlasten und daher den Einkommenssteuertarif spürbar abflachen“, wird in dem Beitrag aus einem Entwurf der Fachkommission Wirtschaft zitiert. Was aber ist mit denen, die finanziell gesehen, nicht der gesellschaftlichen Mitte angehören, aber dennoch hart arbeiten: Arbeitnehmer im Gesundheitswesen (Pflegekräfte, Physiotherapeut/-innen, …), Reinigungskräfte, Stadtreinigung, Verkäufer/-innen etc. etc.?

Der aktuelle Armutsbericht der Bundesregierung spricht eine klare Sprache: Der Anteil als „Arm“ geltender Menschen (die weniger als 60% des mittleren Nettolohns verdienen, 2021 waren das 1.176 Euro) ist in den letzten Jahren ständig gestiegen. Ebenso der Anteil der als „Reich“ geltenden Menschen mit mehr als 3.900 Euro Nettogehalt. Die Kluft zwischen beiden Gruppen wird immer größer, und nicht nur in Deutschland. Die Corona-Pandemie, die unter anderem infolge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine stark steigenden Preise (und Gewinne, z.B. der Mineralölkonzerne!) und weitere Entwicklungen tragen sicherlich dazu bei, dass sich diese Kluft in Zukunft eher noch vergrößern wird.

Wer sind die Leittragenden? Sicherlich nicht in erster Linie diejenigen, die jetzt steuerlich entlastet werden sollen. Lag die durchschnittliche Inflationsrate im März 2023 nach Angaben des Statistischen Bundesamtes bei 7,4%, haben sich die Lebensmittelpreise im gleichen Monat (im Vergleich zu 2022) um durchschnittlich 22,3% erhöht: Margarine ist 42% teurer geworden, Quark um 64%, Weizenmehl um 57% etc. Während diejenigen mit einem unterdurchschnittlichen Einkommen buchstäblich nicht mehr wissen, wie sie ihre Grundversorgung sicherstellen sollen, sollen diejenigen, die mit etwas weniger Kaufkraft durchaus auskommen, entlastet werden. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt!  

Neben den gestiegenen Lebenshaltungskosten und dem erhöhten Armutsrisiko kommt auf die jetzt heranwachsende Generation einiges zu, was durchaus absehbar, aber lange Zeit sträflich vernachlässigt wurde und teilweise immer noch wird: Folgen des Klimawandels, Probleme der gesundheitlichen Versorgung (Schließung von Kinderkliniken, Pflege- und Personalnotstand, Lieferprobleme bei Arzneimitteln, …), zunehmende soziale Spannungen, Radikalisierung von Teilen der Bevölkerung, …

Es ist höchste Zeit zu handeln und wahrscheinlich wird es nicht möglich sein, dass wir uns den Lebensstandard, an den wir uns alle gewöhnt haben, auf Dauer leisten können. Wenn wir da jedoch alle Abstriche machen müssen, kann das sozialverträglich nur gelingen, wenn diejenigen, die es sich leisten können, zugunsten derjenigen verzichten, die keinen entsprechenden Spielraum haben. Also: Belastung der „Reichen“ zugunsten einer Entlastung der „Armen“ sowie eine flexiblere Gestaltung der Löhne zugunsten derjenigen mit geringen oder mittleren Einkommen.

Die jetzt heranwachsende Generation steht vor erheblichen Herausforderungen, und wenn dann noch eine Epilepsie dazu kommt, wird es nicht gerade leichter. Aber dennoch und gerade deswegen: Wenn die Epilepsie gut behandelt wird und es gelingt, Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit Epilepsie und ihre Familien so zu unterstützen, dass die Erkrankung sie in ihrer Lebensplanung und Lebensqualität so wenig wie möglich beeinträchtigt – dann werden sie auch bessere Möglichkeiten haben, mit allem anderen besser zurechtzukommen. Wenn es gelingt, die jetzt heranwachsenden Menschen mit Epilepsie zu befähigen, aktiv mit ihrer Erkrankung umzugehen, zusammen mit anderen (z.B. Ärzte, Therapeuten, Selbsthilfe) für sie passende Lösungen zu erarbeiten, sich aktiv für ihre Rechte einzusetzen – dann vermitteln wir zugleich die Fähigkeiten, die für die Bewältigung der auf unsere Gesellschaft zukommenden bzw. jetzt schon vorhandenen Probleme so dringend notwendig sind.

Beim Schreiben dieser Zeilen kommt mir immer wieder die alte Indianische Weisheit Wir haben die Erde nicht von unseren Eltern geerbt, sondern von unseren Kindern geliehen in den Sinn. Lasst uns „Ältere“ also versuchen, der jetzt heranwachsenden Generation zu ermöglichen, mit der schon arg ramponierten Leihgabe besser umzugehen, als wir das gemacht haben.

In diesem Sinne grüßt Euch/Sie herzlich

Euer/Ihr

Norbert van Kampen

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