Einfälle Nr. 159 | 3. Quartal 2021

Liebe Leserinnen und Leser – liebe Freunde und Förderer,

25 Jahre gibt es ihn nun schon, den Tag der Epilepsie am 05. Oktober. Vieles hat sich seitdem verändert: In den Medien wird in der Regel sehr differenziert über die Epilepsien berichtet, es hat Fortschritte in der Behandlung und Versorgung von Menschen gegeben, neue sozialmedizinische Erkenntnisse erleichtern das Leben von Menschen mit Epilepsie. Das und anderes ist sicherlich nicht allein auf den Tag der Epilepsie zurückzuführen, der dazu aber sicherlich einiges beigetragen hat.

Dennoch gibt es weiterhin Handlungsbedarf. Einige Beispiele: In der ambulanten Behandlung gibt es kaum umfassende Behandlungsangebote, die den Möglichkeiten der stationären Komplexbehandlung auch nur annähernd entsprechen. Die Beratungsmöglichkeiten für Menschen mit Epilepsie und ihre Angehörigen sind bei weitem nicht ausreichend. Es gibt immer öfter Lieferprobleme bei bestimmten Medikamenten. Die Kostenübernahme von neuen Medikamenten oder Behandlungsmethoden ist oft schwierig.

Verbesserungen können wir nur gemeinsam erreichen. Gemeinsam heißt: Die Epilepsie-Selbsthilfe und maßgebliche Akteure wie z.B. die Deutsche Gesellschaft für Epileptologie, die STIFTUNG MICHAEL, der Verein Sozialarbeit bei Epilepsie. Deshalb ist es erfreulich, dass sich diese in den vergangenen Jahren zusammengesetzt haben, um sich über gemeinsame Ziele und Strategien zu verständigen (vgl. dazu den Beitrag von Pfäfflin). Diese Initiative ist sicherlich nicht mit dem 1976 gegründeten Epilepsie-Kuratorium zu vergleichen, in dem sich seinerzeit die „creme-de-la-creme“ der damaligen Epileptologie unter Beteiligung der Selbsthilfe zusammengeschlossen hat, um „Maßnahmen und Vorschläge im Bereich der Epilepsie-Forschung und der Versorgung und Betreuung von Epilepsiekranken (zu) erörtern und dazu Empfehlungen (zu) geben“. Dennoch: Veränderungen sind nur gemeinsam zu erreichen. – Dafür ist der Tag der Epilepsie ein gutes Beispiel.

Allerdings wird häufig ein Aspekt vergessen: Der kürzlich verstorbene Manfred Schmidt (vgl. dazu den Nachruf in diesem Heft), der wesentlich zur Entwicklung der Epilepsie-Selbsthilfegruppen in Deutschland beigetragen hat, hat es in den 1970er Jahren so formuliert: „Wir erzählten einander von den schlimmen Reaktionen der ‚Normalen‘ und bestärkten einander in einer ‚Antihaltung‘, die oft nur die Umkehr der Vorurteile war, die man uns entgegenbrachte … Zuerst mal sind wir dran mit der Kritik … aber nicht ohne Selbstkritik“. Sicherlich gibt es vieles am gesellschaftlichen Umgang mit anfallskranken Menschen zu kritisieren – aber welchen Anteil haben diese selbst daran? Was können sie selbst verändern – an ihrem Auftreten, ihrem Umgang mit anderen Menschen, ihrer sozialen Kompetenz? Wie können sie es schaffen, ihre Stärken zu zeigen, ohne dabei ihre vorhandenen Einschränkungen und/oder Schwierigkeiten zu verschweigen? Wie können sie lernen, „authentisch“ zu sein?

Das betrifft durchaus auch den Umgang mit der Epilepsie als solcher. Nicht nur die Selbsthilfe, sondern auch viele Menschen aus dem Versorgungssystem haben immer wieder darauf hingewiesen und machen es nach wie vor, dass eine Epilepsie nicht gefährlich ist. Menschen mit Epilepsie haben epileptische Anfälle. Ist ein Anfall vorbei, ist alles so wie vorher. Sicherlich bestehen bei manchen Anfällen Verletzungsrisiken, die allerdings bei einem entsprechenden Verhalten minimiert werden können. Das ist sicherlich richtig. Aber wie verträgt sich diese Tatsache mit dem SUDEP, dem Plötzlichen unerwarteten Tod bei Epilepsie? Daran verstirbt durchschnittlich eine Person von 1.000 anfallskranken Menschen jährlich, bei Menschen mit drei und mehr Grand mal sind es sogar 18 von 1.000 anfallskranken Menschen jährlich. Ist Epilepsie tatsächlich eine ungefährliche Erkrankung? Wie sollten wir zukünftig über Epilepsie aufklären – sowohl die Menschen mit Epilepsie und ihre Angehörigen, als auch die Öffentlichkeit?

Bereits im vergangenen Heft gab es einen Beitrag von Johann Killinger, Vater von Oskar, der 2019 an einem SUDEP verstorben ist. Ohne dem zweiten Teil seines Beitrags in diesem Heft vorgreifen zu wollen, ist mir doch eine seiner Schlussfolgerungen besonders ins Auge gefallen. Killinger betont, dass Ärzte Patienten und Angehörige aktiv in die Therapie einbeziehen sollten. „Epilepsietherapie ist ein gemeinsames Projekt. Die Ärzte müssen ihre Patienten als wachsame Verbündete im Kampf gegen die Epilepsie … gewinnen“. Der im Dezember 2016 verstorbene Prof. Dieter Janz würde dem sicherlich nicht widersprechen.   

In diesem Sinne grüßt Euch/Sie herzlich

Norbert van Kampen

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